Verkehr

Feinstaub enthält mehr Schadstoffe als angenommen

Kurzlebige Sauerstoffradikale entgehen gängigen Feinstaub-Messverfahren

Foto zeigt Autos im Stau und dicke Abgaswolken
Feinstaub stammt unter anderem aus den Abgasen, dem Bremsabrieb und dem Asphalt im Straßenverkehr. © ssuaphoto/iStock

Unterschätzte Gefahr: Feinstaub könnte noch gesundheitsschädlicher sein als bisher gedacht. Denn eine neue Messmethode hat jetzt enthüllt, dass die Luft deutlich mehr Sauerstoffradikale enthält als in bisherigen Messungen erfasst wurden. Diese hochreaktiven Radikale sind sehr kurzlebig und daher schwerer zu messen als die bereits bekannten, langlebigeren Feinstaubkomponenten. Zudem lösen sie stärkere Entzündungen in menschlichem Gewebe aus, wie das Team in „Science Advances“ berichtet.

Wer jahrelang mit Feinstaub belastete Luft einatmet, hat ein höheres Risiko, schwer krank zu werden. Denn die weniger als zehn, meist sogar weniger als 2,5 Mikrometer kleinen Schwebeteilchen dringen tief in Luge und Gewebe ein und können so beispielsweise chronische Atemwegsprobleme wie Asthma sowie Herz-Kreislauferkrankungen, Diabetes und Demenz verursachen. Jährlich sterben rund sechs Millionen Menschen an den Folgen der Feinstaubbelastung, schätzt die Weltgesundheitsorganisation WHO. Fast alle Menschen weltweit leben in Regionen, in denen die Feinstaubbelastung höher ist als derzeit von der WHO empfohlen.

Die winzigen Partikel im Feinstaub bestehen aus tausenden verschiedenen chemischen Substanzen, die aus menschengemachten Quellen wie dem Autoverkehr und natürlichen Quellen wie Vulkanen, Waldbränden oder Reaktionen in der Atmosphäre stammen. Welche der Chemikalien sich wie genau auf unseren Körper auswirken, ist erst ansatzweise erforscht. Als besonders schädlich gelten sogenannte reaktive Sauerstoffradikale (ROS), weil diese besonders leicht mit den Molekülen in unseren Zellen und Geweben reagieren. Das kann die Zellen schädigen und Entzündungen auslösen, die sich auf den ganzen Körper auswirken.

Mobiles Messgerät für Feinstaub

Umweltwissenschaftler um Steven Campbell vom Imperial College London haben nun nachgemessen, wie viele dieser Sauerstoffradikale im Feinstaub enthalten sind. Dafür entwickelten sie eine neue Messmethode, die die Partikel nicht wie bisher erst Tage oder Wochen nach dem Einfangen im Labor analysiert, sondern in Sekundenschnelle vor Ort misst. So werden auch jene flüchtigen Radikale erfasst, die in bisherigen Studien bereits mit anderen Substanzen reagiert hatten und daher nicht mehr nachweisbar waren.

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Um die Sauerstoffradikale im Feinstaub unmittelbar ohne Verzögerung messen zu können, entwickelten die Forschenden ein mobiles Gerät, das Partikel direkt aus der Luft abfängt und in einer Flüssigkeit statt auf einem Teflonfilter sammelt. In dieser wässrigen Lösung reagieren die Radikale dann mit Indikatorchemikalien und erzeugen dabei eine fluoreszierende Substanz, deren Leuchten sich in Echtzeit mit einem Spektrometer messen lässt. Das Team verwendete das Gerät sowohl in Laborexperimenten als auch auf Exkursionen in Städten wie London, Los Angeles und Peking.

Schadstoffanteil wurde massiv unterschätzt

Das Ergebnis: Die auf diese neuartige Weise analysierten Feinstaubproben hatten einen um bis zu 100-fach höheren Anteil an Sauerstoffradikalen als frühere, erst mit Verzögerung analysierte Messproben. Je nachdem, ob die alten Proben nach Minuten oder Stunden analysiert wurden und wo, fehlten darin 60 bis 99 Prozent der tatsächlich in der Luft vorhandenen Sauerstoffradikale, wie die Tests mit der neuen Technik ergaben.

Der Schadstoffanteil im Feinstaub ist demnach wesentlich größer als bisher angenommen. „Weil der Messfehler bei der verzögerten Analyse aber nicht konstant ist, lässt er sich nicht so einfach herausrechnen“, erklärt Seniorautor Markus Kalberer von der Universität Basel. Die alten Daten lassen sich demnach nicht problemlos korrigieren. Um reale Werte zu erhalten, müssten neue Messungen an den jeweiligen Standorten durchgeführt werden.

Stärkere Entzündungsreaktionen

Doch sind die nun entdeckten kurzlebigen Sauerstoffradikale im Feinstaub auch genauso schädlich wie die stabileren Radikale, die mit den bisherigen Messungen analysiert wurden? Um das herauszufinden, testeten Campbell und seine Kollegen im Labor deren Effekte auf menschlichen Lungenepithelzellen. Dabei zeigte sich, dass die kurzlebigen Feinstaubpartikel andere Botenstoffe freisetzten und sogar stärkere Entzündungsreaktionen im Immunsystem auslösten als die langlebigeren Komponenten. Demnach sind diese Radikale nicht nur zahlreicher, sondern auch schädlicher als bislang angenommen.

Um die gesundheitlichen Folgen und die Quellen der Feinstaubpartikel näher zu untersuchen, wollen die Forschenden um Campbell ihr Messgerät nun weiterentwickeln und an mehreren Standorten standardisiert einsetzen. „Wenn wir den Anteil hochreaktiver, schädlicher Komponenten genauer und zuverlässig messen, lassen sich auch besser Schutzmaßnahmen ergreifen“, erklärt Kalberer. (Science Advances, 2025 ; doi: 10.1126/sciadv.adp8100)

Quelle: Universität Basel

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